MÜNCHNER "WEG DER ERINNERUNG"

Gedächtnisort: Familie Neuburger

Bild: Bernhard Möllmann
Bild: Bernhard Möllmann

Emil Neuburger kommt am 24. Mai 1870 in Buchau am Federsee, Kreis Biberach in Oberschwaben, als erster Sohn des Pferdehändlers Michael und der Sara Neuburger, geborene Weil, zur Welt. Die Familie Neuburger ist schon seit Jahrhunderten in Buchau ansässig. Emil hat einen jüngeren Bruder Isidor, geboren am 25. März 1873.   

 

Im Oktober 1886, Emil ist 16 Jahre alt, zieht er aus Ravensburg kommend nach München und wohnt zuerst in der Rumfordstraße 20, 1. Stock, 4 Monate später ein paar Häuser weiter auf Nr. 44, 3. Stock. Im Juni 1889 zieht er in die Kaufingerstraße 26, 3. Stock, wo er ein halbes Jahr wohnt. Im Dezember 1889 meldet er sich nach Schwäbisch-Hall ab. 

 

Nach einem Jahr kommt er nach München zurück und lässt sich ab 1901 in Pasing nieder; er wohnt in der Arnulfstraße 93 (heute: Orthstraße). Am 17. April 1902 heiratet er Rika Guggenheim, die am 8. März 1873 in Tiengen in Baden-Württemberg geboren war. Sie stirbt im Februar 1903, sieben Wochen nach der Geburt von Tochter Karoline am 11. Januar.   

 

Im März 1906 heiratet Emil seine zweite Frau, die am 11. September 1877 in Stuttgart geborene Emilie (genannt Emmy) Bernheimer, Tochter des Stuttgarter Kaufmanns Leopold Lazarus und Caroline Bernheimer, geborene Moos. Die Familie wohnt in der Bahnhofstraße 13 gegenüber dem Pasinger Bahnhof. Die Mutter von Emil, die auch in Pasing lebte, stirbt 1906 im Alter von 66 Jahren und wird auf dem Alten Israelitischen Friedhof in München beigesetzt. Dem Ehepaar Emil und Emmy Neuburger wird am 3. Januar 1908 der Sohn Michael geboren.  

 

Inzwischen hat Emil sein kaufmännisches Geschick erfolgreich unter Beweis gestellt. In der Weihnachtsausgabe des Würmtalboten von 1906 werden per Anzeige vier Filialen des Geschäftes von Emil Neuburger aufgeführt: Zwei in Pasing, in der Bahnhofstraße 13, bereits 1901 eröffnet, und in der Planegger Straße 7, 1906 eröffnet, eine in der Isarvorstadt in der Thalkirchner Straße 47 und eine in der Maxvorstadt, Türkenstraße 71. Die Filialen bleiben an den hohen jüdischen Feiertagen geschlossen. Der jüngere Bruder Isidor übernimmt ab 1911 als Teilhaber die Münchner Filialen in eigener Regie, zusammen mit seiner Frau Sophie, geborene Dannhauser, die am 9. September 1884 ebenfalls in Buchau geboren wurde. 

 

Die modernen Geschäftsideen sind: Das Warensortiment ist branchenübergreifend, die Schaufenster sind aufwendig gestaltet, es gibt Rabattmarken und Gratisgaben wie Wandkalender. Besonders beliebt sind die 95-Pfennig-Tage, wo es vieles für eben diesen Betrag gibt. Das soziale Unternehmertum ist an vielem zu sehen: Beispielsweise erhalten Familien von Kriegsteilnehmern 1914 10 % Rabatt. Den Inflations-Geschädigten von 1924 und Arbeitslosen werden besondere Vergünstigungen eingeräumt. Emmy Neuburger ist ebenfalls sozial engagiert und arbeitet seit 1908 im Frauenverein des Roten Kreuzes Pasing-Obermenzing mit. Emil Neuburger ist Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und engagiert sich in Pasing von 1909 bis 1914 als Mandatsträger im Gemeindegremium, von 1914 bis 1919 als Magistratsrat der Stadt Pasing, heute ein Stadtteil Münchens. 1919 ist er auch kurz gewählter Vertreter der Sozialdemokratie im Arbeiterrat der Pasinger Räterepublik. Ab 1919 lässt sich Emil nicht mehr für den Magistrat aufstellen; dafür aber seine Frau Emmy. Sie wird – auf der Grundlage des neuen Frauenwahlrechts - Kandidatin der Mehrheitssozialdemokratie. Der Sohn Michael besucht das Pasinger Progymnasium.  

 

Der Bruder von Emil, Isidor Neuburger stirbt am 22. August 1924 im Alter von nur 51 Jahren. Nach seinem Tod ist die Witwe Sophie Neuburger Inhaberin des Maxvorstädter Einzelhandel-Geschäftes für Kurz-, Weiß- und Wollwaren E. Neuburger & Co. Karoline, die Tochter Emils aus erster Ehe, unterstützt nach dem Tod ihres Onkels Isidor ihre Tante Sophie im Geschäft in der Türkenstraße, wo sie mit Unterbrechungen, die sie in Pasing verbringt, auch wohnt.  Der Sohn Michael Neuburger emigriert als 19-Jähriger 1927 nach New York.

 

Die Weltwirtschaftskrise 1928 geht auch an der Familie Neuburger nicht spurlos vorbei. Im Oktober 1930 muss die Filiale in der Planegger Straße geschlossen werden. Im Juni 1931 muss auch das Pasinger Kaufhaus, das gegenüber dem Bahnhof liegt, aufgegeben werden. Emil Neuburger eröffnet eine Verkaufsstelle für die übrig gebliebenen Waren in der Privatwohnung im ersten Stock der gleichen Adresse wie das ehemalige Kaufhaus. Die „Bahnhofsstraße 13“ war 1924 in „Pasinger Bahnhofsplatz 2“ umbenannt worden. 1931 zieht Tochter Karoline aus der Maxvorstadt ganz nach Pasing zurück; nun hilft sie im Geschäft ihrer Tante Sophie und deren neuem Schwiegersohn Jonas Nathan Ehrenhaus. Im Februar 1932 muss Emil Neuburger sein Verkaufsgeschäft ganz aufgeben, er meldet es ab. Die ohnehin und auch aus politischen Gründen schon immer feindselige Konkurrenz hatte sich beschwert und bewirkt, dass die IHK ein Gutachten anfordert.

 

1933 setzt die Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht nur dem sozialen und politischen Wirken des Ehepaars Emil und Emmy Neuburger ein Ende; eine noch härtere Phase der Rechtlosigkeit und Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung beginnt.  

 

Der Sohn Michael verlobt sich im Juli 1934 in New York mit Lucile Regine Leinkram, geboren am 2. Juli 1911 in New York. Tochter Karoline emigriert im November 1936 über Antwerpen und kommt am 6. Dezember in New York an.  

 

Am 14. Juni 1938 stirbt Emil Neuburger nach langer schwerer Krankheit, kurz bevor er mit seiner Frau zu ihren beiden Kindern nach New York auswandern kann. Sein Grab befindet sich im Neuen Israelitischen Friedhof; es ist ein Doppelgrab für Isidor und Emil Neuburger und war ursprünglich für Isidor und Sophie Neuburger vorgesehen. Emils Witwe Emmy Neuburger glückt die Emigration in die USA, nachdem sie ihren Besitz unter Wert verkauft hat. Am 8. Dezember 1938 trifft sie in New York ein.   

 

Isidors Witwe Sophie Neuburger hatte 1935 ihren Schwiegersohn Jonas Nathan Ehrenhaus, der seit 1931 mit Tochter Susi verheiratet ist, als Teilhaber in ihren Betrieb aufgenommen; das Geschäft trägt aber keine zwei Teilhaber, so dass er im März 1938 aus der Firma wieder ausscheidet und im Mai nach den USA auswandert. Zum 1. Oktober 1938 meldet Sophie Neuburger ihr Gewerbe gezwungenermaßen ab; es gelangt im Zuge der so genannten „Arisierung“ in die Hände von Robert Engels und dem Apotheker Ernst Kallmann. Ihrer Tochter Susi gelingt mit dem Enkel Rolf Isidor im Oktober die Emigration nach USA, Columbus, Ohio, wo ihr Mann lebt. Sophie zieht in die Herzog-Heinrich-Straße um und lebt vom Erlös des Geschäftsverkaufs. Von den ihr verbliebenen 25.000 RM hat sie 8.800 RM als so genannte „Sühneleistung“ zu bezahlen. Ihr gelingt am 24. Dezember als letztem Familienmitglied über Italien ebenfalls die Emigration in die USA.

 

Emmy Neuburger, die ihre Heimat mit 61 Jahren verlassen musste, bemüht sich nach dem Krieg erfolglos um die Rückerstattung ihres Besitzes. Sie stirbt am 1. Januar 1974 in New Rochelle im Staat New York mit 96 Jahren.  

 

Der Sohn von Emmy und Emil, Michael E. Neuburger, stirbt am 28. Juni 1998 in Pompano Beach in Florida im Alter von 90 Jahren. Dessen Frau Lucile Regine wird 94 Jahre alt und stirbt am 24. April 2006 in Long Beach im Staat New York. Sie hinterlassen den Sohn Edward. Emil Neuburgers Tochter aus 1. Ehe, Karoline, verheiratete Solomon, stirbt am 31. Dezember 1996 mit 91 Jahren in West Palm Beach, Florida.

 

Emil Neuburgers politischer Einsatz als Sozialdemokrat im Pasinger Magistrat, unter anderem für bezahlbaren Mietraum im Wohnungsbau, seine sozialpolitischen Verdienste um Einkommensschwache, werden erst heute von den Pasingern gewürdigt, nachdem die Ausstellung im Jahr 2008 „Ins Licht gerückt. Jüdische Lebenswege im Münchner Westen“ ihn aus dem Vergessen geholt hat. Die Mitglieder der Geschichtswerkstatt „Jüdisches Leben in Pasing“ haben erwirkt, dass heute eine Straße im Zentrum von Pasing nach ihm benannt ist.

 

Ilse Macek