Elsa Bernstein wird am 28. Oktober 1866 in Wien geboren. Ihr Vater Heinrich Porges, illegitimer Sohn von Franz Liszt, wird 1867 von Ludwig II nach München berufen und zum königlichen Kapellmeister ernannt. Er gilt als großer Unterstützer der Werke Richard Wagners. Im elterlichen Haushalt ist die gesamte Münchner Musikwelt vertreten. Elsa Bernstein selbst strebt zuerst den Beruf der Schauspielerin an. Aufgrund eines Augenleidens muss sie die Schauspielerei allerdings aufgeben und widmet sich fortan der Schriftstellerei. Unter dem Pseudonym Ernst Rosmer veröffentlicht sie zwischen 1891 und 1910 Novellen, Gedichten und Bühnenstücke. Engelbert Humperdinck vertont ihr Libretto „Königskinder“ als Märchenoper.
1890 heiratet sie den Münchner Rechtsanwalt Geheimrat Dr. Max Bernstein, der auch Theater- und Kunstkritiken schreibt. Gemeinsam führt das Ehepaar Bernstein in ihrer Wohnung in der
Briennerstraße 8a einen literarischen Salon, in dem unter anderen Thomas Mann, Gerhard Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal, Richard Strauss, Rainer Maria Rilke und viele mehr verkehren. Mit Hilfe
ihrer Schwester Gabriele lädt sie auch nach dem Tod ihres Mannes 1925 weiter in den literarischen Salon ein, ist aber gezwungen diesen nach 1939 einzustellen. Elsa Bernstein verzichtet 1941
auf die Möglichkeit in die USA auszuwandern, da ihrer Schwester Gabriele eine Ausreisegenehmigung verweigert wird. Die beiden Schwestern werden am 25. Juni 1942 nach Dachau deportiert, einen Tag
später nach Theresienstadt. Ihre Schwester Gabriele stirbt dort am 24. Juli 1942 an einer Darminfektion. Elsa Bernstein ist in den Baracken des Prominentenhauses untergebracht, wo sie im Mai 1945
befreit wird. Sie stirbt am 12. Juli 1949 im Alter von 91 Jahren in Hamburg. Hier schreibt sie ihren Erinnerungen an Theresienstadt:
„Man verkroch sich in den innersten Winkel seines Ich, ließ nichts laut werden von dem, was in einem vorging. Horchte von Woche zu Woche auf eine Nachricht über Auschwitz. Da! Gegen Ende November
mochte es geworden sein. Trübselig düsterte der November schon seiner Mitte entgegen, als Professor Loewy mich eines Nachmittags wieder einmal zu seiner Frau und sich hinüber holte. Was mir bei
fest verschlossener Tür mit vorsichtig gedämpfter Stimme anvertraut wurde: Drei Ungarinnen angekommen, die aus Auschwitz entflohen, des Nachts gewandert, sich tagsüber in Scheunen versteckt, von
Gehöft zu Gehöft sich durchgebetelt – Wagnis solcher Todesgefahr der sicher bevorstehende Tod in Auschwitz. Denn: beinahe täglich eine Anzahl von Frauen und Kindern oder arbeitsunfähig gewordener
Männer unterm Vorwand hygienischer Fürsorge ins Brausebad gebracht. Die Ahnungslosen zu zweit oder dritt in geschlossene Zellen eingesperrt. Was beim ersten Zug an der Leine herunter kam: Gas.
Der Schreck des Entsetzens, das kurze Todesgeheul von schmetternder Musik überdröhnt. Mord! Entsetzen!
Sogar die Nerven einiger SS, wie geraunt worden, hätten nicht Stand gehalten. […]“
Ich wusste genug. Also Wahrheit geworden, der eiskalt berechnete Massenmord der Vergasung. Bequem für den Mörder, als barmherziger Mord von ihm verherrlicht. Ich wusste genug … Frau Geissmar,
ihre Tochter Lotte – lebten nicht mehr. Der General? Er hatte so sicher versprochen, auf irgendeine Weise Nachricht zu geben, und man hatte nichts mehr von ihm gehört. Gewiss tot auch er! Er war
ihnen zu gefährlich gewesen, denn er war ein Mann! Nehmt alles nur in allem …
Und da saß man auf seinem Bettrand, stumpf, tränenlos, zeitweise sogar gedankenlos. Völlig verarmt an Lebenswillen. Selbst gestorben. Denn man lebt nicht nur in sich, man lebt auch in den
anderen, die man liebt, von denen man geliebt wird. Ein Stück Ich mit Ihnen verloren, unwiederbringlich wie sie, man bleibt zurück als ein armseliger Lebensrest. Der sich weiter schleppt unter
Bedingungen, die schon an und für sich nicht mehr lebenswert. Nur in der Gegenseitigkeit, im Austausch von verwandten Gedanken und Gefühlen konnte sich etwas Hoffnungsstärkendes ergeben.
So sagt man sich jeden Abend beim Niederlegen: Heute Nacht um zwei oder drei kannst Du geholt werden, und wenn es wieder Tag wurde, sah man es nur als Aufschub an, nicht als Rettung.“
Eva König