Clara Freund wird am 9. Dezember 1860 in Görlitz geboren.
Ihr Vater ist der beliebte und hoch geachtete Rabbiner Dr. phil. Siegfried Samuel Freund, gebürtig aus Schmiegel (heute Śmigiel) in der Provinz Posen, wo er am 3. August 1829 als Sohn eines
Kaufmanns zur Welt kam. Claras Mutter ist die 1832 in Schubin (Szubin) geborene Sarah Dorothea Lachmann, genannt Doris.
Die Großmutter Claras väterlicherseits, eine geborene Sklower, entstammte der Familie der Stifter der strengorthodoxen „Sklower Schul“ in Breslau. Claras Vater, Siegfried Freund, hatte in Breslau
studiert, 1853 promoviert und dann als Religionsschullehrer gearbeitet und war mit nur 27 Jahren Ende des Jahres 1856 als Rabbiner der Synagogengemeinde nach Görlitz berufen worden.
1858 hatten der 29-jährige Dr. phil. Siegfried Freund und die 26-jährige Doris Lachmann in Görlitz geheiratet.
Ab 1864 ist Dr. Siegfried Freund Referent in der „Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften e.V.“, einer der ältesten, heute noch tätigen Gelehrtengesellschaften im deutschsprachigen
Raum; er leitet die Görlitzer Religionsschule und ist Verfasser religiöser Werke. 1900 wird er vom Kaiser Wilhelm II. mit dem Roten Adlerorden vierter Klasse geehrt.
Das Rabbinat übt er 52 Jahre bis zu seinem Ruhestand 1909 aus und stirbt am 16. November 1915 in Görlitz im Alter von 86 Jahren. Fünf Jahre zuvor hatte er 1911 noch die Feierlichkeiten zur
Einweihung der neuen Synagoge geleitet. Das Begräbnis am 19. November gestaltet sich zu einer großen Trauerkundgebung, zu der sich fast die ganze Gemeinde einfindet: „Mitglieder der städtischen
Behörden, an ihrer Spitze der Oberbürgermeister und staatliche Behörden, ferner die Geistlichkeit anderer Konfessionen u. Directoren der höheren Lehranstalten waren erschienen, um Zeugnis
abzulegen von der Hochschätzung, die sich der Verstorbene in allen Kreisen der Vaterstadt erworben.“
Seine Ehefrau Dorothea Freund stirbt nur fünf Wochen später am 19. Dezember 1915 im Alter von 83 Jahren.
Der Grabstein von Dr. phil. Friedrich Freund und Doris Freund, geborene Lachmann, ist auf dem Görlitzer jüdischen Friedhof an der Biesnitzer Straße zu finden.
Dem Ehepaar Dr. Siegfried und Dorothea Freund wurden sechs Kinder geboren. Clara ist die Älteste in der Geschwisterreihe. Ihr knapp zwei Jahre jünger Bruder Max Gottlieb kommt im Juli 1862 zur
Welt und stirbt am 25. Juni 1863 noch vor seinem ersten Geburtstag.
Am 15. April 1866 wird Otto Julian Gotthelf geboren. Die zweite Tochter Emilia Regina kommt am 1. April 1868 zur Welt. Am 14. August 1870 wird Martin Bruno Lebegott geboren.
Vom Schicksal dieses Bruders und von dem seiner Frau Gertrud konnte einiges in Erfahrung gebracht werden. Martin, der 10 Jahre jüngere Bruder von Clara, studiert Zahnmedizin, promoviert und
praktiziert später in Berlin als Zahnarzt und Kieferchirurg. Seine am 21. Dezember 1876 in Berlin geborene Ehefrau Gertrud, geborene Levinson, war 1911 Witwe geworden; ihr erster Mann, Martin
Czapski, war mit nur 51 Jahre gestorben. Sie heiratet Dr. Martin Freund 1913. Martin ist einigermaßen begütert, er besitzt unter anderem ein Segelboot am Wannsee, veröffentlicht Beiträge in
Fachzeitschriften und hält Vorträge. Er stirbt mit nur 48 Jahren am 14. Oktober 1918 in Berlin, die Todesursache ist nicht bekannt, nur, dass der Tod im Polizeibericht erwähnt wird.
Gertrud Freund, die nun zweifache Witwe, lebt bis 1933 in Berlin und dann in Baden-Baden. Von dort wird sie am 22. Oktober 1940 in der so genannten „Operation Wagner-Bürckel“ zusammen mit 6.500
Juden aus Baden und der Saarpfalz nach Frankreich ins „Internierungslager Gurs“ verschleppt, später dann in zwei weiteren Lagern (Récébédou und Noé) interniert. Sie stirbt im Hospiz von St.
Laurent-Du-Pont am 14. März 1944 mit 67 Jahren – vermutlich auf der Flucht. Für sie ist in Baden-Baden ein Stolperstein verlegt.
Der (adoptierten) Tochter Eva Freund glückt die Emigration nach Palästina.
Am 5. September 1871 kommt der jüngste Bruder Claras, Siegmar Fürchtegott, zur Welt.
Von ihm, der sich später Ernst Siegmar Freund nennt, ist bekannt, dass er zunächst in Hirschberg im Riesengebirge und später in Berlin lebt. Am 2 Oktober 1942 begeht er Suizid auf dem Hintergrund
der jahrelangen Verfolgung und der anhaltenden aktuellen bedrohlichen Ereignisse, den ein- bis zweimal wöchentlich stattfindenden Deportationen der Berliner jüdischen Bevölkerung. Bis zu diesem
Datum sind aus der Hauptstadt bereits in über 80 Deportationen die jüdischen Berliner „in den Osten“ und nach Theresienstadt verschleppt worden; von den meisten gibt es kein Lebenszeichen. Am
nächsten Tag, dem 3. Oktober, droht wieder eine Deportation.
Der Lebensweg von Clara ist einerseits durch private Schicksalsschläge, andererseits aber auch durch berufliche Erfolge gekennzeichnet. Als 20-jährige heiratet sie am 16. Mai 1881 den fast 12
Jahre älteren, am 6. Februar 1849 in Krotoschin (heute Krotoszyn) geborenen Kaufmann und Fabrikbesitzer Salomon Siegfried Hepner. Dieser ist „Webereiwaaren-Fabrikant“, besitzt eine (mechanische)
Weberei und wohnt in Görlitz in der gleichen Straße, nur ein paar Häuser entfernt von der Familie Freund.
Dessen 1826 geborene Mutter Evelyne ist, wie Claras Mutter, eine geborene Lachmann. Der Vater von Salomon (Salo) Hepner, der 1824 geborene Marcus Hepner, ist Kaufmann und Stadtrat in Krotoschin
in der preußischen Provinz Posen.
Das Ehepaar Clara und Salomon Hepner zieht nach Berlin. Der genaue Zeitpunkt des Wegzugs aus Görlitz ist nicht bekannt, liegt aber im Zeitraum vor 1889. Beide entfernen sich vom jüdischen Glauben
und treten aus der Religionsgemeinschaft aus. Ob das Ehepaar Kinder hatte, ist nicht zweifelsfrei zu klären.
Die Ehe von Clara und Salo Hepner wird am 22. Oktober 1903 rechtskräftig in Berlin geschieden. Clara ist bereits am 4. Oktober von Berlin nach München umgezogen.
Über das weitere Leben ihres geschiedenen Mannes ist sehr wenig in Erfahrung zu bringen; lediglich, dass er am 17. Februar 1929 kurz nach seinem 80. Geburtstag in Fürstenberg an der Havel stirbt
und in Stahnsdorf im evangelischen Südwestkirchhof begraben ist.
Clara Hepner zieht in München zunächst von einer Wohnung in die nächste; die Reitmorstraße im Lehel, die Ismaninger Straße in Haidhausen, außerhalb Münchens in Planegg in der Maria-Eich-Straße,
sind die Stationen, bevor sie ab Juli 1908 in der Nördlichen Auffahrtsallee 67 (bei Wild) wohnt, direkt am Kanal, der zum Nymphenburger Schloss führt. Nymphenburg wird nun, bis auf eine kurze
Unterbrechung, ihr ständiges Wohn- und Lebensumfeld bleiben.
Hier findet sie auch – wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne von knapp drei Jahren – einen neuen Lebenspartner; jedenfalls zieht sie Ende 2011 zu ihm in die Wotanstraße 42.
Es ist der Schriftsteller, Dramaturg und Publizist Georg Muschner, der zusammen mit Theodor Etzel die Literaturzeitschrift „Die Lese“ herausgibt, die ab 1910 erscheint. Georg Muschner hat gute
Verbindungen zu den in München lebenden bekannteren Schriftstellern seiner Zeit, so zu Frank Wedekind, der in seinem Tagebuch vermerkt: „München. Samstag. 31. Mai 1913. Besuch bei Muschner in
Nymphenburg wegen Göthebünde und Zensur Leonce und Lena und die geflickte Braut in den Kammerspielen bei Luise Dumont. Nachher zu Hause“. Auch mit dem aus Berlin stammenden Erich Mühsam, der seit
1909 in Schwabing wohnt, ist die Verbindung in Mühsams Tagebuch verbürgt. Muschner scheint „…im geistigen Leben jener Zeit eine Rolle…“zu spielen, wie es der österreichische Sozialdemokrat und
spätere Anarchist Karl Dopf, den er „tatkräftig fördert“, wohlwollend erwähnt.
Warum sich Clara Hepner im Februar 1914 für ein halbes Jahr in der Briennerstraße 9 und kurz darauf für zwei Monate in der Pension Knecht aufhält, ist nicht mehr zu klären. Ist es zum Bruch
gekommen? Wir wissen es nicht.
Die Partnerschaft mit Georg Muschner findet ein trauriges Ende. Ab November 1914, der 1. Weltkrieg tobt, Georg Muschner leistet Kriegsdienst, wohnt Clara wieder in der Nördlichen Auffahrtsallee,
ihrer alten Adresse. Wie im Tagebuch von Erich Mühsam Anfang Oktober vermerkt, ist Georg Muschner an der Ostfront gefallen. Der Krieg hat die Eheschließung zwischen Clara Hepner und Georg
Muschner endgültig verhindert. Auch ganz amtlich ist dies auf dem polizeilichen Meldebogen Clara Hepners vermerkt: Hat lt. Erh. v. 26.10.1915 „… mit dem gefallenen Leutn. Georg Muschner die Ehe
nicht geschlossen“.
In der Nördlichen Auffahrtsallee bleibt Clara weitere 18 Jahre bis zum September 1932.
Dann zieht sie für ein Jahr in die Stievestraße und ab Oktober 1933 wohnt sie in einem auch noch heute herrschaftlich anmutenden Mietshaus in der Ruffinistraße im zweiten Stock. Die Wohnung ist
groß genug, dass sie, als sich die Verdienstmöglichkeiten für jüdische Münchner weiter verschlechtern, regelmäßig zwei Zimmer untervermieten kann.
Wie Georg Muschner ist auch Clara Hepner in die literarische und künstlerische Gesellschaft Münchens integriert. Sie wird in ihren Münchner Jahren eine der meistgelesenen Kinder-und
Jugendbuchautorinnen, deren Bücher in mehreren Auflagen und Ausgaben erscheinen. Eines ihrer bekanntesten Bücher ist „Sonnenscheinchens erste Reise“ (Erstausgabe 1909); daneben erscheinen
Märchen, indische Fabeln und insbesondere Tiergeschichten in allen erdenklichen Variationen. Als Illustratoren ihrer Kinderbücher sind der Stuttgarter Tier- und Landschaftsmaler Richard Herdtle,
der Münchner Maler, Illustrator und Karikaturist Josef (Sepp) Mauder, später bekannt als der Erfinder der „Sportkarikatur“ (und Spieler beim FC Bayern), ebenso zu finden wie der Illustrator Ernst
Liebermann, ein erfolgreicher in Berlin ausgebildeter und in Bayern lebender und wirkender Maler, Graphiker und Illustrator sowie die renommierte und hochproduktive erst in Schwabing, später in
Icking lebende Kinderbuch-Illustratorin Else Wenz-Viëtor.
Außerdem veröffentlich Clara Hepner Beiträge in der Zeitschrift „Kinderland. Blätter für ethische Jugenderziehung“ und in „Auerbachs Kinderkalender“ sowie für die Bücher der vielgelesenen Frida
Schanz in der berühmten Fürther „Bilderbuchfabrik Löwensohn“.
Auch in der von Georg Muschner und Theodor Etzel herausgegebenen Literaturzeitschrift „Die Lese. Die Literarische Zeitung für das deutsche Volk“ sind im Jahr 1913 Beiträge von Clara Hepner
nachzulesen. Auch nach 1933 werden ihre Kinderbücher neu aufgelegt. Clara Hepners Werkeverzeichnis im Deutschen Literaturlexikon ist beachtlich. Die Spuren ihres Schriftsteller-Lebens finden sich
auch in Briefen, unter anderem an Hans Ludwig Held, den Bibliotheksleiter und ab 1925 Direktor der „Bibliothek des Stadtrats“, der Vorläuferin der Münchner Stadtbibliothek sowie Begründer der
Monacensia-Sammlung.
Im Sommer 1939 scheint Clara Hepner die Wohnungslosigkeit zu drohen. Sie inseriert im Jüdischen Nachrichtenblatt vom 25. Juli die Suche eines Zimmers. Die Kündigung der Wohnung, in der sie so
viele Jahre gelebt hat, ist dann wohl der letzte Auslöser für ihren verzweifelten Entschluss. Sie geht am 11. August 1939 in ihrem Wohnhaus in der Ruffinistraße 2 ein Stockwerk höher und stürzt
sich aus dem Fenster des 3. Stockes. Im „Selbstmordverzeichnis“ der Polizeidirektion München findet sich als Hinweis auf das Motiv für den Suizid der Vermerk: „Wohnungskündigung“. Clara Hepner
ist zum Zeitpunkt ihrer Flucht aus dem ihr unerträglich gewordenen Leben 78 Jahre alt.
Sogar Jahre nach ihrem Tod erscheinen einige ihrer Bücher in einer Neuauflage. Auch in der Monacensia ist eine Auswahl ihrer Werke vorhanden und im Handel diverser Antiquariate wird man auch
heute noch fündig.
Ilse Macek