Promenadeplatz 9
Die Hofmöbelfabrik Ballin
Das Gebäude, vor dem wir jetzt stehen, ist eng mit der Geschichte eines jüdischen Familienunternehmens verbunden: Der Hofmöbelfabrik Ballin. Wir möchten mit Ihnen gut 150 Jahre in die Vergangenheit reisen, in das Jahr 1864. In diesem Jahr gründet Moritz Ballin, ein Tapezier- und Polstermeister aus Limburg an der Lahn, die Möbelfabrikation Ballin, die sich schnell zu einem der bedeutenden Anbieter für Polstermöbel und Dekorationsartikel in München entwickelt. Das Unternehmen wird später um eine Holzmöbelfabrik und ein Entwurfsbüro für Innenaufbau erweitert. 1901 übergibt Moritz Ballin das Geschäft an seine Söhne Martin, Robert und Louis. Das Unternehmen boomt. Die repräsentative Zentrale ist hier am Promenadeplatz, in der sich Ausstellungsräume, Büros und Werkstätten befinden. Die Firma Ballin realisiert internationale Aufträge für öffentliche Gebäude und Villen. Bis nach Ägypten führt das Geschäft die drei Brüder, wo sie die Residenz des ägyptischen Vizekönigs einrichten. Ballins beschäftigen in ihrer Fabrik in Giesing über 300 Angestellte. Die Familie ist angesehen und wohlhabend.
1923 kommt es zu einem Zwischenfall, der das Schicksal der Familie Ballin nachhaltig beeinflussen wird. Während des sogenannten Hitlerputsches am 9. November wird der Führer der SA, Herrmann Göring von der Polizei angeschossen. Seine Kameraden schleppen den Verletzten in einen Hauseingang in der Residenzstraße. Hier wohnt Robert Ballin mit seiner Familie. Obwohl er Jude ist und die antisemitischen Hetztiraden der NSDAP kennt, gewährt Robert Ballin Göring Zuflucht. Seine Frau Bella leistet dem Verwundeten Erste Hilfe.
Anfang der 1930er Jahren verschärft sich die Situation für die Familie Ballin; 1931 verstirbt der Bruder Louis. Mit der Machtübergabe 1933 kommt es zur antijüdischen Boykottaktion. Besonders hart trifft die Firma Ballin, dass die Stadt keine öffentlichen Aufträge mehr an sie als Juden vergibt. Da sie keine neuen Kredite mehr bekommt, muss die Familie das Geschäft am Promenadeplatz und die Fabrik in Giesing aufgeben, in deren Räumen nun Uniformen für SA, SS und für die Wehrmacht hergestellt werden. Trotzdem gibt die Familie nicht auf. Sie führt das Geschäft als reine Möbelhandlung in der Theatinerstraße weiter.
In dieser schwierigen Situation wendet sich die Familie Ballin 1936 an Herrmann Göring. Vermutlich fühlt dieser sich aufgrund der Vorkommnisse während des Hitlerputsches verpflichtet zu helfen. Er fädelt den Verkauf des Geschäftes zu vergleichsweise guten Konditionen an den Geschäftsmann Edgar Horn im September 1937 ein. Die „Arisierung“ beendet nach mehr als sieben Jahrzehnten die Geschichte des Münchner Traditionsunternehmens Ballin.
Während die beiden Brüder sich – wie so viele andere Juden damals – als Kleingewerbetreibende verdingen, planen sie bereits ihre Emigration in die USA. Wir wissen nicht, warum sich die Ausreise so lange verzögert und Ballins letztendlich erst am 5. März 1942 in die Schweiz fliehen können. Zu diesem späten Zeitpunkt gelingt nur noch wenigen Juden die Ausreise aus Deutschland. Erneut erweist sich die Verbindung zu Hermann Göring als nützlich, der vermutlich Edgar Horn mit der Koordinierung der Ausreise beauftragt.
In der Schweiz wird den beiden Familien die Weiterreise in die USA verwehrt. Sie entscheiden sich zunächst nach Buenos Aires zu gehen. Auf der langen Schiffsfahrt verstirb Robert Ballins Ehefrau Bella im Alter von 62 Jahren. Erst 1943 erhalten die Brüder die gewünschten Einreisepapiere für die USA und übersiedeln nach New York. Robert Ballin kehrt 1958 in seine Heimatstadt München zurück, wo er bis zu seinem Tod 1960 in einem jüdischen Altersheim wohnt.
Friederike Beck und Isabelle Waldorf