Josef Herz kommt als zweiter von drei Söhnen des aus Markt Berolzheim, Kreis Gunzenhausen, stammenden Kaufmanns Ludwig Herz und seiner 1901 geborenen Frau, Helene Herz, am 9. Juli 1926 in Treuchtlingen zur Welt. Der Vater war Weltkriegsteilnehmer und hatte seine aus Solothurn in der Schweiz gebürtige Frau Helene Anfang 1923 in Darmstadt geheiratet.
Josef hat einen älteren Bruder Hermann, der in der nur wenige Kilometer entfernten Heimatgemeinde des Vaters am 27. November 1923 geboren wurde und einen jüngeren, in Treuchtlingen am 2. Mai 1928 geborenen Bruder Max. Bis 1938 lebt die Familie in Treuchtlingen. Wegen antisemitischer Vorfälle in beiden Gemeinden sind bereits viele der jüdischen Bewohner ausgewandert oder in größere Städte gezogen, wo sie hoffen, unbehelligter leben zu können; so auch Onkel David, der jüngere Bruder des Vaters, mit Frau Klara und Sohn Herbert sowie Tante Berta, die unverheiratete 9 Jahre jüngere Schwester des Vaters.
Die Familie Herz führt in der Kirchenstraße 5 ein Textil- und Bettfederngeschäft. Sie ist in der jüdischen Gemeinde von Treuchtlingen hoch angesehen und lebt schon lange in dieser Gegend, mindestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. 18 Familienmitglieder sind auf dem zu mehreren Gemeinden gehörenden jüdischen Friedhof in Treuchtlingen begraben. Das traditionell gefeierte Laubhüttenfest wird auf den Anwesen von drei renommierten Gemeindemitgliedern zelebriert, eines davon ist das Anwesen der Familie Herz in der Kirchenstraße.
Hermann, dem älteren Bruder von Josef, glückt im Mai 1938 im Alter von 15 Jahren die Auswanderung nach Palästina. Der Umzug der verbliebenen vierköpfigen Familie nach München ist am 10. November 1938 verzeichnet, dem Tag nach der „Kristallnacht“, und lässt ahnen, wie es ihr in Treuchtlingen ergangen sein muss.
Josef und Max finden im zum Übernachtungsheim umgewandelten ehemaligen Lehrlingsheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Wagnerstraße 3 Aufnahme. Josef kann später eine Schlosserlehre in den zu Lehrwerkstätten umgewandelten Räumlichkeiten der zerstörten Synagoge in der Reichenbachstraße beginnen; Max ist dafür noch zu jung. Die Eltern haben keine eigene Wohnung und leben zunächst bei der Schwägerin des Vaters, Klara Herz, geborene Gerst (verwitwete Fleischmann). Ihr Mann, jener Onkel David Herz, der aus Berolzheim in die vermeintlich mehr Sicherheit bietende Stadt umgezogen war, wird an diesem Tag ins Konzentrationslager Dachau verschleppt.
Cousin Herbert, der Sohn von Onkel David und Tante Klara, ist 1923 geboren und gleichaltrig mit Josefs älterem, schon im sicheren Ausland befindlichen Bruder Hermann. In der kleinen Wohnung Pilotystraße 11 a im 1. Stock im Lehel wohnen sie nun zu viert. Auch Tante Berta, eine neun Jahre jüngere, unverheiratete Schwester des Vaters ist Ende Oktober nach München umgezogen; sie ist examinierte Krankenschwester und wohnt ums Eck.
David Herz, der sich seit zwei Jahren mit einen Kleinversand von Textilien und Federn sowie einem Versand von Spezereien und Tabak über Wasser gehalten hatte, wird am 6. Dezember 1938 aus dem KZ entlassen und kehrt nach Hause zurück. Die Ausübung seines Gewerbes wird verboten. Er bemüht sich vergeblich um die Ausreise in die USA. Zum 31. März 1939 wird ihm auch noch die Wohnung gekündigt.
Die Pilotystraße 11 fällt unter den so genannten „Vollzug des Wohnsiedlungsgesetzes“, das der Willkür gegen die Münchner Juden bei der „Entmietung“ und der Enteignung von Immobilienbesitz die Schein-Legalität verleiht. Ab 1939 dürfen Juden nicht mehr in so genannten „arischen“ Häusern wohnen. Sie werden oft von einem Tag auf den anderen aus ihren Wohnungen geworfen und bei jüdischen Wohnungs- und Hausbesitzern zusammengepfercht, wobei deren Wohnungen dem Zwangsverkaufs-Verfahren unterstellt sind. Niemand darf sich weigern, Zwangseingewiesene aufzunehmen und die Eingewiesenen dürfen die Wohnung ohne Genehmigung nicht aufgeben. Natürlich führt diese Zwangsbelegung zu Zwistigkeiten, da man – neben den sonstigen Belastungen – manchmal der drangvollen Enge psychisch nicht standhalten konnte. Auch deshalb kommt es zu häufigem Wohnungswechsel, bei dem die Israelitische Kultusgemeinde die Rolle einer „Schlichtungsstelle“ übernehmen muss.
Auch Ludwig und Helene Herz, Josefs Eltern, wohnen von Februar 1939 an nur noch behelfsmäßig, zunächst im Übernachtungsheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Wagnerstraße 3. Die nächste Station, an der die Eltern sieben Monate verbringen, ist eine Wohnung in der Maxvorstadt in der Steinheilstraße 20, 1. Stock. Im März 1940 ziehen sie dann in den 2. Stock der Triftstraße 9 im Lehel. Auch Josef wohnt nun dort. Nun erkrankt der Vater und muss ins Spital der Israelitischen Kultusgemeinde in der Hermann-Schmid-Straße. Die Mutter kommt vorübergehend in einem so genannten „ Judenhaus“ in der Thierschstraße 7 unter, wo sich auch Tante Berta befindet, Josef und Max werden im Antonienheim aufgenommen.
Am 20. November 1941 wird Tante Berta Herz im Alter von 49 Jahren nach Kaunas deportiert und dort am 25. November ermordet. Ab Dezember 1941 sind Mutter Helene und ihre Söhne noch einmal vereint und leben in der Bürkleinstraße 16, ebenfalls im Lehel. Es ist die ehemalige Wohn-Adresse von Tante Berta.
Am 4. April 1942 wird Josef zusammen mit seinem Bruder Max und seiner Mutter ins Ghetto Piaski deportiert. Die 42-jährige Mutter Helene und der noch nicht ganz 14-jährige Bruder kommen dort um; Josef wird im Vernichtungslager Majdanek am 6. September 1942 ermordet. Er ist 16 Jahre alt. Der Vater, zum Zeitpunkt der Piaski-Deportation wegen seiner Erkrankung „nicht transportfähig“, wird, wie die gesamte Belegschaft und alle Kranken der Klinik, innerhalb dreier Tage, am 5. Juni nach Theresienstadt deportiert, wo er am 14. Dezember mit 59 Jahren zu Tode kommt.
Josefs Onkel David und Tante Klara Herz, geborene Gerst, verwitwete Fleischmann, die nach einer Wohnungs-Odyssee seit November 1941 in das Internierungslager Berg-am-Laim ziehen müssen, werden am 11. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort ermordet. Sie sind zum Zeitpunkt der Deportation 57 bzw. 54 Jahre alt.
Josefs älterer Bruder Hermann Herz, geboren am 27. November 1923, befindet sich in Palästina; dem Cousin Herbert Herz, geboren am 31. Oktober 1923 in Berolzheim, glückte noch im Juli 1941 die Emigration nach Panama. Für Hermann, der seine Eltern und beide Brüder und viele enge Verwandte verloren hat, sind die Schicksalsschläge mit dem Kriegsende 1945 noch nicht zu Ende. Er lebt 1956, schwer krank in einem Heim in Israel, da ist er erst 33 Jahre alt. Eine Tante von ihm versucht, über den Bürgermeister von Treuchtlingen, für ihren Neffen wenigstens eine kleine finanzielle „Entschädigung“ zu erwirken. Das Anwesen der Familie Herz war 1940 an einen Treuchtlinger für 1.500 Reichsmark versteigert worden. Sie schreibt in der Angelegenheit ihres Neffen Hermann Herz: „Er ist augenblicklich nicht in der Lage, Verhandlungen wegen des Hausverkaufs zu führen. Ich bitte Sie, verehrter Herr Bürgermeister, deshalb um Aufschub der Angelegenheit. Sollte wider Erwarten ein Aufschub nicht möglich sein und das Haus abgerissen werden müssen, dann sorgen Sie doch bitte dafür, daß das Geld auf Hermanns Namen auf einer Bank hinterlegt wird. Hermann ist vollkommen mittellos, und ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie nötig er jeden Pfennig braucht, wenn er mit Gottes Hilfe mal aus dem Sanatorium herauskommt.“
Ilse Macek